Hierarchien, die dazu dienen, Menschen zu unterdrücken, wie Rassismus und Sexismus, werden von Fehlschlüssen aufrecht gehalten. Weiße Vorherrschaft – white supremacy – wird von zu wenigen
weißen Menschen als System gesehen, weil wir Fehlschlüsse verinnerlicht haben. Um Rassismus als ein System wirklich zu verstehen, müssen wir uns bewusst machen, wo wir Fehlschlüsse in unserem Denken anwenden – und dann lernen umzudenken. Ein Artikel von 2009, der von zwei Soziolog*innen an der Universität in Madison Wisconsin geschrieben wurde, beschreibt die fünf Fehlschlüsse die hauptsächlich im Thema Rassismus auftauchen. Hier ist meine Zusammenfassung dieser Ideen (ich versuche die Fachbegriffe zu übersetzen, bin aber für Verbesserungen offen! Meine englische Zusammenfassung ist
hier.).
Der individualistische Fehlschluss ist wahrscheinlich der häufigste und taucht auch in Gruppen, die meinen sie bekämpfen Rassismus, auf. So wird Rassismus als Problem von Individuen gemacht, die sich der AfD anschließen. Die sind die anderen, die schlechten Menschen, denen wir, die guten (oder gutbürgerlichen) Menschen entgegen wirken. Wenn die rote Linie, die uns Gute von den Rassisten trennt, wieder eindeutig scharf wird, haben wir Rassismus erfolgreich bekämpft. Leider nicht. Rassismus kann nicht auf eine Gruppe von Menschen isoliert werden, denn unsere Gesellschaft basiert auf einem System, das Menschen unter anderem auch nach Hautfarbe und Herkunft klassifiziert. Dies erlaubte dieser gutbürgerliche Gesellschaft die Kolonisierung von anderen Gebieten , ja es taucht sogar auf, wenn ich “anderen Ländern” schreiben wollte. Die Länder in Afrika wurden von den Kolonialmächten gemacht. Unsere Gesellschaft ignoriert die Menschenrechtsverletzungen von prominenten und ausgezeichneten Wissenschaftlern, denn solch Komplexität würde die binäre Trennung in Gut und Böse sprengen. Zu viele weiße Menschen regen sich mehr über das Ändern von Wörtern auf, als darüber das Kinderbücher Wörter enthalten, die verletzend sind. Robin Di Angelo nennt solche Reaktionen white fragility, weiße Verletzlichkeit – damit wird ein rassismuskritisches Argument entschärft, wir weißen Menschen werden zu den Opfern und damit wird white Supremacy erhalten.
Ein anderer, verbundener trügerischer Aspekt dieses Fehlschlusses ist, dass Rassismus absichtlich sein muss. Wenn ich mit meiner Frage nicht rassistisch sein will, ist die Frage harmlos. Die Frage verletzt den Befragten aber genauso, egal was meine Absicht ist. Dieser Aspekt verstärkt die falsche Dichotomie des Gut/Bösen: Rassisten sind nur die bösen Menschen, die absichtlich diese Ideen sagen und verbreiten, also wahrscheinlich nur die Mitglieder der AfD, nicht mal die Sympathisant*innen und auf keinen Fall wir, die guten Bürger*innen. Diesen Fehlschluss zu hinterfragen, ist vielleicht der wichtigste erste Schritt, um rassismuskritisch arbeiten zu können, denn aus der Dichotomie auszusteigen heißt, dass ich nicht böse bin, wenn ich Pippi Langstrumpf liebe, sondern uninformiert. Vielleicht kann ich ja auch weiterhin Teile von ihrer Geschichte lieben und andere verurteilen (dass, z.B., ein weißer Mann sich einfach zum König über andere Menschen macht, bloß weil er denkt, er wäre ihnen überlegen). Es erlaubt auch, Situationen so komplex zu sehen, wie sie sind. Manche Bücher von Michael Ende sind vielleicht so problematisch, dass ein Umschreiben sie auch nicht retten würde, aber andere vielleicht nicht. Oder ich lese einfach andere Bücher (vor). Robert Koch hat das Tuberkulose-Bakterium gefunden und dafür zu Recht den Nobelpreis erhalten. Er war aber auch in Versuchen an Menschen verwickelt und dafür sollte er verurteilt werden. Beides gehört zu seiner Biographie.

Der juristische Fehlschluss tritt auf, wenn wir glauben, dass Gesetzesänderungen oder die Abschaffung rassistischer Gesetze genug sind, um Rassismus abzuschaffen – als wenn de jure automatisch de facto Änderungen herbei bringt. Dieser Fehlschluss unterliegt vielleicht der mangelnden direkten Aufarbeitung von dem antisemitischen Gedankengut der Nazidiktatur. Die Bundesrepublik hat neue Gesetze – fertig! Und jetzt sind wir überrascht, dass antisemitische Parolen wieder salonfähig werden – sie sind nie wirklich hinterfragt und abgebaut worden.

Der Alibi-Trugschluss beeinflusste uns, als wir dachten, dass die Wahl von Barack Obama, das symbolische Ende des Rassismus war. Wenn einzelne Menschen of Color zu Prominenz und Macht aufsteigen, hat sich noch lange nicht die Struktur einer Gesellschaft geändert. Leider zeigt ja, dass Obamas Vermächtnis nun durch rassistische (und sexistische) Politik untergraben wird, dass diese Struktur noch vorhanden ist.

Der geschichtslose Fehlschluss behauptet, dass die Vergangenheit für heute irrelevant ist. Die Bundesrepublik ist ja ein ganz anderer Staat, als die Macht, die in Afrika Kolonien ausbeutete und Menschen verachtete. Wir haben die Vergangenheit bewältigt und wir gehen jetzt in die Zukunft! Das ist leider nicht so. Selbst wenn wir es gerne so hätten, können wir die Vergangenheit nicht einfach durch einen Entschluss hinter uns lassen. Das geht weder für einen einzelnen Menschen, als auch für ein ganzes Land, für ein ganzes System. Tabula rasa gibt es nicht. Unsere Geschichte steckt in uns drin und wird durch Verhaltens-Normen und sogar gene weiter vermittelt – es sei denn, wir machen uns die Arbeit, uns zu ändern, uns zu heilen.

Die Idee, dass Rassismus sich nicht entwickelt, reflektiert den fixierten Fehlschluss. Rassismus kann gemessen werden, um zu bestimmen, ob es heute weniger Rassismus gibt oder mehr. Dieser Fehlschluss ignoriert, dass sich rassistische Ideen und Systeme weiterentwickeln, insbesondere durch die Veränderungen in der Gesellschaft. In den USA, gibt es zwar keine Gesetze mehr, die offen schwarzen Menschen verbieten an Wahlen teilzunehmen, aber in vielen Staaten gibt es Gesetze, die Menschen of Color die Wahlteilnahme sehr erschwert. Oder manchmal gibt es einfach nicht genug Wahllokale.

Wenn wir uns etwas mit diesen Fehlschlüssen auseinandersetzen, wird auch schnell klar, dass sie oft nicht so präzise getrennt werden können. Zum Beispiel, bei der Beurteilung von Wahlbeteiligung spielen auch geschichtslose und juristische Fehlschlüsse mit (also etwa: Wähler*innen Unterdrückung war in der Vergangenheit; die Gesetze gibt es jetzt nicht mehr). Je mehr wir uns mit diesen Gedankenkurzschlüssen befassen, desto eindeutiger wird es, dass Rassismus ein verbreiteteres und schwerwiegenderes Problem ist, als wir weißen Menschen zugeben wollten.
Dieser Beitrag ist auf diesem Artikel basiert: Desmond, M., & Emirbayer, M. (2009). What is Racial Domination? Du Bois Review: Social Science Research on Race, 6(2), 335-355. doi:10.1017/S1742058X09990166. (Eine PDF Version des Artikels ist hier: here.)